Fotografie

 

Volker Rohlfing

 

Berlin, 70er Jahre

 

 

Der Fotograf Cartier-Bresson verglich sich mit einem Zen-Bogenschützen: „Man muss selber zum Ziel werden, um es zu treffen. Ein gelungenes Foto ist der Ausdruck dessen, was man im tiefsten Sinne über das Objekt fühlt und auf diese Weise ein Ausdruck dessen, was man über das Leben in seiner Gänze fühlt.“

 

Der Zweite Weltkrieg legte große Teile von Berlin in Schutt und Asche. Nach 1945 wurden die „Reste“ abgeräumt. Es werden weniger die zwölf Jahre Naziherrschaft beseitigt, als die 500 Jahre davor.

 

Durch Aufräumungsarbeiten nach dem Krieg und Flächensanierung in den darauffolgenden Jahren, wurde das alte Gefüge bis zur Unkenntlichkeit weggegesäubert.

 

Konstruktion und Destruktion gegen gehen ohne Logik Hand in Hand.

 

Ermutigt durch „Sanierungs“-Subventionen kaufen Spekulanten ganze Straßenzüge auf, um diese erst verrotten und dann abreißen zu lassen.

 

Spuren der Vergangenheit, lebendige Erfahrung und erlebbare Stadtgeschichte werden plattplaniert. Neubauten werden errichtet, beziehungslos zu dem historischen Grund, auf dem sie stehen.

 

Die Fotografien von Volker Rohlfing entstanden in den 70er Jahren in Berlin, in der Studentenzeit des Künstlers. Die Zeit war geprägt von den damals üblichen ideologisch bestimmten Sichtweisen. Engagiert tritt man ein gegen Ausbeutung, Imperialismus und Krieg. Reaktionen auf den sozialen Aktivismus dieser Zeit spiegeln sich auch in der Kunst wieder.

 

Auf seinen Streifzügen durch die Arbeiterviertel Kreuzberg und Neukölln entstand ein fotografisches Skizzenbuch des Künstlers welches sein unmittelbares (Er)-Leben festhält. Als flinke Form, des sich Notizen Machens dienten die Fotografien später auch als Bildvorlagen für Arbeiten in Öl, Radierung Lithographie und Siebdruckmontagen. Verschiedene Kunstgattungen schließen einen Pakt, der sie autorisiert, ihren verschiedenen, aber gleichwertigen Aufgaben nachzugehen, um sich wechselseitig schöpferisch zu beeinflussen.

 

Das Wesen eines Kunstwerkes besteht darin dass es authentischer Ausdruck seiner Zeit ist.

 

Und so bieten uns Volker Rohlfings Fotografien weitaus mehr, als malerische Erinnerung und Lokalkolorit. Indem ein äußeres Symbol in den Mittelpunkt rückt, gehen sie weit über das bloße Abbild hinaus. Sie werden zum Abbild der Welt, die uns formen und zugleich von uns geformt werden kann. Vom Aussehen der Welt zu dem, was wir angesichts der Welt fühlen.

 

Die visuellen Komponenten des Motivs sind bestimmt vom Denken und Fühlen des Künstlers und demonstrieren das „Leben ohne Verdünnung“ mit dem erbarmungslosen Blick des Sozialanatomen.

 

Fotos wie Auskunfteien -

 

Sie sind eingefangene Erfahrung -

 

Sie liefern Beweismaterial.

 

Ein Mann steht klein und verloren vor einem leeren Haus. Welche Erinnerungen wohnen für ihn hinter den Mauern? Der eigene Lebensraum verwandelt sich in eine Trümmerlandschaft, die mehr an eine Nachkriegssituation erinnert, als an Stadt-Erneuerung. Mit dem Abriss sterben nicht nur Häuser und Gesicht eines Wohnviertels, sondern auch urbanes Leben.

 

Häuser, manchmal schon Museen ihrer eigenen Vergangenheit, sind sie dennoch Lebensmittelpunkt.

 

Inmitten einer Baustelle blickt uns eine Frau aus ihrem Fenster entgegen. Winzig in ihrer Gestalt, zeugt sie umso eindringlicher von der menschlichen Existenz hinter der Fassade.

 

Einen Bildausschnitt wählen, heißt, ihm Gedanken hinzuzufügen. Wir schauen von innen und von außen durch die Fenster und hinter den Mauern scheinen die Geschichten weiterzugehen.

 

Zerstörung, Entmenschlichung, Überlebenskunst und bewährte Menschlichkeit werden festgehalten.

 

Zwei alte Männer studieren ein „revolutionäres“ Plakat und und lassen dafür sogar eine Bierreklame mit Ihrem Lieblingsgetränk „links“ liegen.

 

Die Hundeliebe der Berliner, seit jeher ungebrochen, macht auch angesichts einer Baustelle nicht halt. Unbeirrt bahnt ein Ehepaar sich und seinem Liebling einen Weg durch Schutt und Trümmer. Die Fotografien leben von der Intensität der scheinbar flüchtigen Momentaufnahme. Die menschlichen Inhalte der Objekte werden sichtbar. Augenblicke im Fluss der Zeit gefunden und eingefangen zwischen dem Davor und dem Danach.

 

So kommt uns auch ein älteres Paar Arm in Arm entgegen. Sie laufen an einem Altbau vorbei, der „Stadterneuerung“ verspricht. Im Hintergrund sieht man ein Ergebnis dieser Erneuerung in Form einer seelen- und geschichtslosen Fassade. Betonquader, anstelle natürlich gewachsener Umwelt. Zusammenhänge entstehen aus der Gegensätzlichkeit. Geschichte und Zukunft prallen aufeinander. Die Baustellen von einst sind neuen Baustellen gewichen. Die damals anvisierte Zukunft ist Vergangenheit. Nichts wiederholt sich tatsächlich und ist für das Auge real verloren.

 

Was bleibt sind die Fotografien von Volker Rohlfing, die uns Teilnahme anbieten am historischen Prozess.

 

Zeitgeschichte durch ihre Spuren erfahren.

 

So schrieb ein britischer Kolumnist in „Once a Week“ über Fotografie: „Dank einer Drei-Zoll-Linse können wir vor Fürstlichkeiten treten ohne den Hut zu ziehen“.

 

Ulrike Brune, Fotografin, Berlin 28-04-1997