apfelbilder

Pompejanischer Maler um 70

„APPROPRIATION Art“ ist ein moderner Begriff, der eigentlich etwas bezeichnet, das die Geschichte der Bildenden Kunst und der Malerei im Besonderen schon von Beginn an betreibt: Die Auseinandersetzung mit und die Aneignung und Anerkennung von Kunstwerken, die andere geschaffen haben.

 

Ich bin bei meinen Recherchen zur Geschichte der Stillleben-Malerei auf der Suche nach radikal vereinfachten Bildmotiven auf einen Bildgegenstand gestoßen, der quer durch die Jahrhunderte und Stile über die Leinwände kullert: den Apfel.

 

Mit einigen dieser Bilder habe ich mich künstlerisch auseinandergesetzt. Ich habe versucht, die Gestaltungsprinzipien zu würdigen und neu zu interpretieren. Die Bilder sollen keine bloße Aneignung der Werke anderer Künstler sein, sondern eine Verneigung vor dem Werk der großen Meister der Vergangenheit und der Gegenwart: Eine HOMMAGE.

 

Die Stilllebenmalerei wird in der kunstwissenschaftlichen Literatur teilweise noch immer als die jüngste der klassischen Bildgattungen (ab 17.Jh.) bezeichnet. Das Wandbild aus der Villa der Julia Felix in Pompeji zeigt jedoch, dass die Gestaltungsprinzipien der klassischen Stillleben-Malerei bereits in der Antike perfekt beherrscht wurden.

Das lässt sich an dem einsamen Apfel auf dem Mauervorsprung verdeutlichen: Die Horizontale, die Vertikale und die Tiefenachse werden durch die Kanten des Mauervorsprungs klar definiert, Der Apfel ist durch die Abstufungen des Körperschattens und den Lichtreflex plastisch dargestellt, seine Position im Raum ist durch die Darstellung des Schlagschattens auf der Unterlage genau lokalisiert.

picasso 1914

 

PICASSO war 1914 zusammen mit seinem Künstlerkollegen Braque dabei, die Regeln der Malerei aus den Angeln zu heben. Im von den beiden Malern entwickelten Kubismus gab es keine einheitliche Perspektive mehr, keine definierbare Lichtquelle, keine formgetreue Wiedergabe der Gegenstände, sondern eine Zersplitterung der Bildmotive und ein Verschmelzen von Bildmotiv und Hintergrund.

 

Ganz anders das kleine Bild, das er 1914 der Schriftstellerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein und ihrer Partnerin Alice Toklas schenkte. Genaue Formenwiedergabe, das Spiel von Licht und Schatten auf der Oberfläche, Helligkeitsunterschiede zwischen Figur und Grund, all die Prinzipien, die gerade im hohen Bogen verworfen wurden, sind hier penibel beachtet. Mit Ausnahme des Hintergrunds, der zwar eine zweigeteilte hintere Tischkante erahnen lässt, aber in den scharf konturierten Formen links nicht klar erkennbar ist.

 

Jan van Eyck 1434

Im MITTELALTER ist tatsächlich das Stillleben als eigenständige Bildgattung nicht nachweisbar. Aber natürlich wurden auch Gegenstände dargestellt. Die mussten aber einen tieferen Sinn haben, z.B. als Attribut von Heiligen oder als Symbol im Allgemeinen. Die Liste der Bedeutungen des Apfels in den ikonografischen Lexika ist lang: Sünde (Eva), aber auch Erlösung von der Sünde (Christuskind mit dem Apfel), Herrschaftssymbol (Reichsapfel), Rebellion (Wilhelm Tell), Schönheit (Urteil des Paris), Fruchtbarkeit (Frucht), Weiblichkeit und Sexualität (z.B. Goethe im Faust:

Faust mit der jungen tanzend.
Einst hatt’ ich einen schönen Traum;
Da sah ich einen Apfelbaum,

Zwey schöne Aepfel glänzten dran,

Sie reizten mich, ich stieg hinan.
Die Schöne.
Der Aepfelchen begehrt ihr sehr
Und schon vom Paradiese her.
Von Freuden fühl’ ich mich bewegt,

Daß auch mein Garten solche trägt.“)

 

Der Verfasser distanziert sich hiermit ausdrücklich von diesen sexistischen Einlassungen und ist sich sicher, dass diese Schrift ohne eine gründliche Überarbeitung nicht mehr veröffentlicht werden würde. Der Text belegt aber, dass zumindest für alte weiße Männer der Apfel ein Symbol für Erotik und Weiblichkeit ist. Zurück zum Thema:

 

VAN EYCK hat 1434 in seinem Hochzeitsbild neben einer Fülle anderer Details gleich 2 Apfelstillleben versteckt: Einen einzelnen Apfel, der auf der Flucht der Fensterbank liegt und darunter eine Gruppe von drei Äpfeln auf der Ecke einer Kommode. Die dargestellte Ehefrau ist ganz offensichtlich schwanger, deshalb kann ich mich der in der Fachliteratur geäußerten Interpretation (Jungfräulichkeit der Braut) ausdrücklich nicht anschließen. Gemeint ist hier ganz offensichtlich als Bedeutung die Fruchtbarkeit und das daraus resultierende Kind beim einzelnen Apfel und die Liebe zwischen den Eltern und zu dem Kind bei der Dreiergruppe. Bei dem einzelnen Apfel ist wieder die Ähnlichkeit zu bekannten Bildern frappierend. Die Dreiergruppe wiederum wird uns leicht abgewandelt noch mehrmals begegnen.

 

Chardin 1767/68

JEAN SIMÉON CHARDIN gilt als der Großmeister des Stilllebens überhaupt. Er ist bereits frei von der Anforderung, jedem Bildgegenstand eine tiefe, möglichst christlich-religiöse Bedeutung zu geben, ihn interessieren mehr deren Form-  und Farbqualitäten, die Materialeigenschaften und die Oberflächen. So wird das Bild "Der Silberbecher"  besonders gerühmt wegen der Spiegelungen auf dem Silberbecher. In unserem Zusammenhang interessiert mehr die Gruppe der drei Äpfel, die genau wie bei Van Dycks Hochzeitsbild so angeordnet sind, dass einer mittig nach vorne ragt und die beiden anderen schräg rechts und links dahinter liegen, sodass sie eine Dreiecksformation bilden. Diese Anordnung wird uns im Weiteren noch mehrfach begegnen.

Courbet 1871

Ausgerechnet GUSTAVE COURBET, der Revolutionär unter den Malern, der das Publikum bis zum heutigen Tag provoziert, malt ein kleines, bescheidenes Apfelstillleben? 1871 wurde der auch schon vorher politisch aktive Künstler Mitglied der Pariser Kommune. Diese beschloss, die Napoleon gewidmete Vendôme-Säule zu stürzen. Courbet wurde dafür verantwortlich gemacht und zu einer halbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach anfänglichem Malverbot durfte er wieder malen, musste sich aber mit bescheidenen Motiven und Formaten begnügen. So erklärt sich, dass der Maler die von seiner Schwester bei ihren Besuchen im Gefängnis mitgebrachten Äpfel und Blumen malte und nicht mehr provozierende sozialkritische Bilder oder skandalträchtige Frauenakte.

Auffällig ist hier, wie die bereits bekannte Dreieckskomposition übernommen (oder neu erfunden) wird und wie der seit dem 17. Jahrhundert übliche dunkle Hintergrund die Farben zum Leuchten bringt.

Manet 1880

ÉDOUARD MANET malt 9 Jahre nach Courbet ein Bild, das dessen Apfelstillleben auffällig ähnelt. Die drei Äpfel sind ähnlich, auch der dunkle Hintergrund und die Lichtreflexe auf den Früchten. Im Unterschied zu Courbets Bild gibt es zwischen den rechten beiden Äpfeln eine Lücke und der Farbauftrag ist lockerer, einzelne Pinselstriche sichtbar. Das Auffälligste ist aber, dass der Maler die Früchte auf eine glänzende (oder nasse?) Unterlage arrangiert hat, was ihm die Gelegenheit gibt, die Spiegelung der Gegenstände zu studieren. Der tupfende Farbauftrag und die Spiegelungen sind Merkmale der Malerei, die ihm den Ruf einbrachten, ein Vorläufer der Impressionisten zu sein. In einem seiner letzten Hauptwerke, der "Bar in den Folies Bergère" sind diese Gestaltungsmekmale bildbestimmend. Der dunkle Hintergrund des Stilllebens ist jedoch noch ganz der Tradition verpflichtet.

MANET 1882

ÉDOUARD MANET probiert in seinen späten Stillleben die unterschiedlichsten Anordnungen der Bildgegenstände aus, hier eine Pyramide aus Äpfeln, ein Arrangement, das sich u. a. auch bei Cézanne wiederfindet. Bei diesem Bild fallen die lockere Pinselführung, die symmetrische Komposition und der starke Komplementärkontrast zwischen den Äpfeln auf.

Cézanne 1889/1890

PAUL CÉZANNE ist bekannt dafür, bestimmte Motive immer wieder gemalt zu haben. Neben der Montagne Sainte-Victoire finden sich eine Vielzahl von Apfel-Stillleben in seinem Œuvre . Das hier abgebildete machte vor einigen Jahren Schlagzeilen, weil es "fast vier Millionen pro Apfel"  (insgesamt 41,6 Millionen Dollar) bei einer Versteigerung erzielte.Wenn man das Atelier Cézannes in Aix en Provence heute besucht, findet man nicht nur eine Vielzahl von Objekten, die aus seinen Bildern bekannt sind, sondern auch immer frisch drapierte Äpfel vor. Die pyramidale Anordnung ist schon von Manet bekannt, neu ist der lichte, fast abstrakte Hintergrund und der fleckhafte Farbauftrag. Der Teller als Unterlage wird uns noch mehrfach begegnen.

Cézanne  1878/79

„Mit einem Apfel will ich Paris in Erstaunen versetzen“, das ist ein Satz, den PAUL CÉZANNE gesagt haben soll. Eine glaubhafte Quelle dafür habe ich nicht gefunden. Aber auch wenn das Zitat nicht authentisch ist, ist doch seine Aussage treffend: Auch ein noch so unbedeutender Gegenstand kann durch die Art der Darstellung, durch die Malerei, sensationell wirken. In dem hier abgebildeten Apfelstillleben findet sich am rechten Bildrand eine angeschnittene Farbtube. Es wirkt wie eine Vorwegnahme Magrittscher Gedanken: Achtung, dies sind keine Äpfel, es ist nur Malerei...

monet 1880

Bei den Impressionisten hellt sich die Farbpalette auf. In diesem Bild von CLAUDE MONET sind die Früchte und Blätter auf einer faltigen, weißen Tischdecke drapiert. Typisch ist der tupfende Farbauftrag, eine relativ bunte Farbigkeit, der Verzicht auf Schwarz und die Darstellung farbiger Schatten um die Atmosphäre des Bildmotivs einzufangen. An den beiden seperat liegenden Äpfeln kann man diese Merkmale besonders gut studieren.

Renoir 1892

Das bereits bekannte Motiv der drei Äpfel hier von Renoir neu interpretiert. Sie liegen nicht auf geometrisch klar definierter Unterlage vor dunklem Hintergrund, sondern auf einem weißen Stoff, der Falten schlägt. Gemalt ist das in dem für Renoir typischen weichen  oder fast wattigen Malstil.

 

MANET 1882

Zurück zum Teller. ÉDOUARD MANET malt diese Basisversion 1882. Teller und Apfel sind zentriert, die Komposition ist symmetrisch, der Apfel seitlich beleuchtet und der Hintergrund dunkel. Die bildnerischen Mittel sind bis auf's Äußerste reduziert, verblüffend ist die Ähnlichkeit der Darstellung der anfangs gezeigten Bilder des pompejanischen Malers und von Picasso.

fantin-latour 1861

HENRI FANTIN-LATOUR war ein Zeitgenosse und Freund Manets. Bereits 20 Jahre vor diesem malt er ein Bild mit gleichen Eigenschaften: Zentrale Anordnung des Tellers, dunkler Hintergrund, Seitenlicht. Diesmal sind hier aber 4 Äpfel unterschiedlicher Sorte und Farbe versammelt. Beim Spiel mit der Anzahl der Objekte tun sich natürlich unendlich viele Möglichkeiten auf.

Picasso 1919

PABLO PICASSO ist 1919 dabei, sich wieder von den Prinzipien des Kubismus zu entfernen. Er lässt auf diesem Bild den Teller mit zwei Äpfeln auf einem wuchtig modellierten Krug balancieren. Die Augenhöhe des Malers/Betrachters ist genau der Tellerrand, der so als eine Gerade dargestellt wird.

rené magritte 20.jh

Für dieses Bild liegt kein Original vor. Es sind drei Dinge Kombiniert: Eine Mauerbrüstung, darauf ein grüner Apfel und dahinter ein blauer Himmel mit "Schäfchenwolken". Mehr braucht es nicht, um RENÉ MAGRITTE als Vorbild auszumachen, den Maler von immer wiederkehrenden Motiven, die in ihrer immer neuen Kombination die Welt erklären oder aber verrätseln.

Volker Rohlfing, Hommage à Magritte, 2021, Öl auf Leinwand, 50x60 cm
Volker Rohlfing, Hommage à Magritte, 2021, Öl auf Leinwand, 50x60 cm

Mu-hsi 13. jh

Dieses Bild zeigt keine Äpfel, sondern 6 Kaki-Früchte. Es ist im 13. Jh. von dem chinesischen  Zen-Mönch und Maler Mu-hsi  gemalt worden. Dieser war der Begründer des typischen Zen-Stils in der Tuschmalerei. So einfach das Bild auf den ersten Blick gestaltet zu sein scheint, so komplex ist es bei näherer Betrachtung. Der Kunsterzieher  Wolfgang Alt beschreibt den Bildaufbau und die unterschiedlichen Bezüge der Früchte auf einer Seite. Ausführlicher und immerhin auf 16 Seiten analysiert der Kunsthistoriker Dietrich Seckel das Bild und verweist nicht nur auf die Gruppenbildung der Früchte, sondern versucht auch, eine Vorstellung davon zu vermitteln, welche Gedanken der Zen-Philosophie hier vermittelt werden: "Ein Bild wie die Kaki-Früchte des Mu-hsi ist voll von diesem ungeheuren, alles sagenden Schweigen; der ostasiatische Mensch hört es ja vor allem in den Dingen und Geschöpfen der Natur, in den schlichtesten am deutlichsten."

Das hier abgebildete Apfel-Stillleben ist deutlich von dem Bild des Zen-Meisters inspiriert. Ob das zulässig ist, möge der Betrachter entscheiden.

Gerhard Richter 1984

GERHARD RICHTER ist ein Künstler, der die unterschiedlichsten künstlerischen Verfahren beherrscht und anwendet. Bildbestimmend in seinen Stillleben über die  Äpfel  ist die Unschärfe, mit der die Bildgegenstände abgebildet sind. Die 3 aufgereihten Äpfel wirken wie zufällig angeordnet. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man jedoch Bezüge zu den Kaki-Früchten des Mu-shi: Fast unmerklich sind sie aus der Reihe etwas nach vorne oder nach hinten gerückt, variiert der Abstand zwischen ihnen und ist ihre Position/Drehung jeweils eine andere.

Volker Rohlfing, Hommage à Gerhard Richter, 2021, Öl auf Leinwand, 30x40 cm
Volker Rohlfing, Hommage à Gerhard Richter, 2021, Öl auf Leinwand, 30x40 cm

Berthe Morisot 1876

 

"Frauen können nicht malen" ist ein berühmtes Zitat des berühmten Malers Georg Baselitz. Er befindet sich mit dieser Ansicht in illustrer Gesellschaft: mit Schopenhauer, der den Frauen gar nachsagte: „Weder für Musik, noch Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit“. Diese Geringschätzung spiegelt sich deutlich darin wider, dass Frauen bis weit ins 19. Jahrhundert vom Kunststudium ausgeschlossen waren und in den Museen deutlich unterrepräsentiert sind. In jüngster Zeit gibt es jedoch weltweit Ausstellungen von Museen, die diese Versäumnisse aufarbeiten, z. B. Das Musée d‘Orsay.

 

BERTHE MORISOT gehört nicht zu den Malerinnen, die erst wiederentdeckt werden mussten, sie war bereits zu Lebzeiten erfolgreich und hat sowohl in den Pariser Salons ausgestellt als auch mit den berühmten Impressionisten der Zeit.

 

In ihrem Stillleben mit geschnittenem Apfel und Krug herrscht eine eher traditionell wirkende gedämpfte Farbigkeit vor, auch die Komposition wirkt klassisch, die Malweise ist aber spontan und gestisch, der Farbauftrag pastos, sodass Licht und Atmosphäre das Bild bestimmen.

 

 

 

hommage à


DIE VORBILDER: (externe Links)

Stillleben